F. Metzger u.a. (Hg.): Sacred Heart Devotion

Cover
Titel
Sacred Heart Devotion. Memory, Body, Image, Text – Continuities and Discontinuities


Herausgeber
Metzger, Franziska; Tertünte, Stefan
Erschienen
Köln 2021: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
330 S.
von
Ruth Wiederkehr; Annina Sandmeier-Walt; Ruth Wiederkehr

Die Herz-Jesu-Verehrung hat als Untersuchungsgegenstand bisher wenig Niederschlag in transdisziplinären Studien gefunden. Der vorliegende Band, herausgegeben von der Historikerin Franziska Metzger und dem Theologen Stefan Tertünte SCJ, untersucht diese Form der Frömmigkeit nun disziplinenübergreifend als Verbindung von Gedächtnisforschung und Kulturgeschichte von Religion, Theologie und Kunstgeschichte. Sie möchte zudem im Sinn einer longue durée auch mehrere Zeitepochen vom Mittealter bis in die Zeitgeschichte abdecken. Im Zentrum der Analyse stehen Erinnerungsräume von Bildern, Erzählungen und rituellen Praktiken. Die grundlegende These des Bandes lautet, dass durch ebendiese Bilder, Erzählungen und Riten die Erinnerung an das Heiligste Herz Jesu erst geschaffen wurden und die Herz-Jesu-Verehrung als Erinnerungsraum modelliert wurde. Die Publikation ist Ergebnis einer von den Herausgebern am 8. und 9. November 2020 im Centro Studi Dehoniani in Rom veranstalteten Tagung.
Konzeptuelle und theoretische Überlegungen vor allem im ersten Teil des Bandes wählen den transdisziplinären Zugang zur Materie. Franziska Metzger definiert in ihrem Beitrag drei Modi religiöser Erinnerungen, die in einem verschränkten Verhältnis stehen: Sprachliche und visuelle Codes als Erinnerungsräume, rituelle und ritualisierte Praktiken als Erinnerung und das narrative Gedächtnis, das durch Erzählungen konstruiert wird. Durch Wiederholung und Serialität erfahren die durch die Modi entstandenen Erinnerungen an das Herz Jesu Konstanz in ihren verschiedenen Ausdrucksformen. Mit diesem Ansatz kann Metzger die Herz-Jesu-Erinnerung analytisch fassen. Auch die Beiträge von Marcello Neri und Nicolas Steeves SJ erschliessen den Zusammenhang von Gedächtnis und Andacht im Katholizismus und in der Herz-Jesu-Verehrung im Speziellen, ersterer auf philosophischem, letzterer auf theologischem Weg. Nicolas Steeves SJ zeigt beispielsweise, dass das Herz Jesu nicht nur eine Funktion in der Andacht, sondern auch in der katholischen Theologie hat. Er ist überzeugt, dass es für den Glauben Vorstellungskraft und Gedächtnis braucht, um von Bildern der göttlichen Offenbarung berührt zu werden. Das Bild vom Herzen Jesu könne diese Funktion übernehmen. Elke Pahud de Mortanges geht in ihrem Beitrag der Bedeutung des Körpers als Erinnerungsraum nach. Sie zeigt, dass die in der Volksfrömmigkeit gelebte intensive körperliche Religiosität hinsichtlich der Herz-Jesu-Verehrung keineswegs mit dem normativen Code der Katholischen Kirche zur Ikonografie des Heiligen Herzens im 19. Jahrhundert übereinstimmte, die beispielsweise Darstellungen des Herzens ohne Jesusfigur ablehnte.
In einem zweiten und im mit Abstand ausführlichsten und inhaltlich breitesten Teil stehen die Transformationen im Vordergrund, welche die Herz-Jesu-Verehrung epochen- und kulturübergreifend erlebte. Die insgesamt acht Beiträge behandeln historische Fragestellungen zur Herz-Jesu-Verehrung in der Frühen Neuzeit einerseits und im 20. Jahrhundert andererseits. Daniel Sidler etwa untersucht das Thema für die katholische Eidgenossenschaft im 18. Jahrhundert und kann zeigen, wie Laienpriester den Herz-Jesu-Kult auch als Entgegnung zur Aufklärung lokal verankerten. Eine aussereuropäische Perspektive bringt der in Indonesien tätige Franziskus Purwanto SCJ ein, der die Hybridität der javanischen Herz-Jesu-Verehrung beschreibt. Der letzte Beitrag dieses Teils stammt von den beiden an der Pädagogischen Hochschule Luzern tätigen Historikern Sven Baier und Damian Troxler, die eines der Lernziele aus dem Lehrplan 21 in den Fokus nehmen. Variantenreich und angelehnt an die Populärkultur der Gegenwart zeigen sie auf, wie das Herz-Jesu-Motiv und der Herz-Jesu-Kult auf der Sekundarstufe I nutzbar gemacht werden können: Schülerinnen und Schüler sollen fähig sein, religiöse Motive in ihrem Alltag zu erkennen.
Einen Aktualitätsbezug stellen auch die beiden letzten theologischen Beiträge im dritten Teil her. Während John van den Hengel SCJ über eine Aktualisierung der Erinnerung nachdenkt, um die Herz-Jesu-Verehrung als Spiritualität zu erhalten, konzentriert sich José Tolentino de Mendonça auf die sinnliche und emotionale Dimension des Herzens und ihre Relevanz für die Produktion von Gedächtnis.
Das Buch «Sacred Heart Devotion» zeigt als Ergebnis einer fruchtbaren Tagung, welches Potenzial in der Dekonstruktion eines Motivs wie dem vom Herzen Jesu analytisch innewohnt. Die Herz-Jesu-Verehrung und -Erinnerungspraxis wird hier als Longue-dureé-Phänomen primär seit dem 16. Jahrhundert betrachtet, mediävistische Sichtweisen finden nur punktuell Beachtung, so bei David Morgan mit dem Beitrag «The Image of Love», der einen «longitudinal focus» wählt. Interessant für weiterführende Forschungen wäre es, auch einen mediävistischen «in depht focus» zu verfolgen und die Verankerung der Herz-Jesu-Verehrung im Kontext der Volksfrömmigkeit zu betrachten. Eine geschlechtergeschichtliche Fragestellung zur Herz-Jesu-Verehrung böte sich ebenfalls für einen Band dieser Art an. Untersucht wurden in diesem Band vor allem Verehrungs- und Erinnerungspraxen in mehrheitlich katholischen Gegenden. Ende des 19. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden aber gerade im deutschsprachigen Raum viele Diaspora-Pfarreien dem Herzen Jesu gewidmet, so beispielsweise auch in Zürich. Eine vertiefte Untersuchung des Bildmaterials zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts steht noch aus. Auch mit einem Fokus auf die schweizerische Geschichtsschreibung gälte es zu fragen: Gab es Unterschiede in der Nutzung von HerzJesuBildsymbolen in angestammt katholischen Gebieten und der Diaspora und führte das zu unterschiedlichen Erinnerungspraxen? Insgesamt aber beantwortet der Band bedeutend mehr Fragen, als dass er offenlässt. Die hier gezeigten Konzepte für die Untersuchung von Erinnerungen können auch für andere religiöse Motive dienen. Gerade dank grosser Heterogenität der Herangehensweisen und Themen lassen sich bei dessen Lektüre zahlreiche neue Erkenntnisse gewinnen.

Zitierweise:
Sandmeier-Walt, Annina; Wiederkehr, Ruth: Rezension zu: Metzger, Franziska; Tertünte, Stefan (Hg.): Sacred Heart Devotion. Memory, Body, Image, Text – Continuities and Discontinuities, Köln 2021. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 116, 2022, S. 489-491. Online: https://doi.org/10.24894/2673-3641.00127